Kommt dir das bekannt vor?

Du und dein Team, ihr steckt mitten in einer entscheidenden Projektphase es ist fallen immer wieder ähnliche Sätze: „Das Problem ist, dass uns Informationen fehlen.“ – „Das Problem ist, dass die anderen Abteilungen nicht mitziehen.“ – „Das Problem ist, dass die Deadlines unrealistisch sind.“ Die Diskussionen drehen sich im Kreis, die Stimmung kippt, und der Fokus liegt nur noch auf dem, was nicht funktioniert.
Kommt dir das bekannt vor?
Wir alle halten uns manchmal an Problemen fest. Doch warum ist das so? Und wie schaffen wir es, den Blick von Hindernissen hin zu Lösungen zu lenken?

Was ist eigentlich ein Problem?

Eine Frage, die wir uns selten stellen. Laut Steve de Shazer ist ein Problem nur dann ein wirkliches Problem, wenn es dafür eine Lösung gibt. Andernfalls wird der Umgang mit der Sache selbst zum Problem.

Ein Beispiel: Stellen wir uns Regen vor: Der Regen an sich ist nicht das Problem. Das eigentliche Problem entsteht, wenn wir keine geeignete Kleidung haben, keinen Regenschirm mitnehmen oder den Bus verpassen. Wenn keine Lösung für die „Sache“ möglich ist, wird unser Umgang damit zum Fokus.
Dieser Perspektivwechsel bringt uns zu einer zentralen Frage: Wie groß ist unser Handlungsspielraum?
Manche Probleme liegen außerhalb unseres Einflussbereichs, etwa:

  • Personalentscheidungen, die auf anderen Organisationsebenen getroffen werden.
  • Personalmangel, der kurzfristig nicht lösbar ist.
  • Veränderungen in der Umwelt, wie Marktverschiebungen oder wirtschaftliche Krisen.

Ein wichtiger Schritt ist daher, zu prüfen: Zu wie viel Prozent liegt das Problem tatsächlich in meinem Einflussbereich?
Diese Reflexion hilft, den Fokus auf die Aspekte zu legen, die du wirklich beeinflussen kannst – anstatt Energie auf Dinge zu verschwenden, die du nicht ändern kannst. Oft verschiebt sich der Blick dadurch von der „Sache“ hin zu den Möglichkeiten: Was kann ich konkret tun, um meine Situation oder meinen Umgang damit zu verbessern?

Warum wir uns an Problemen festhalten

Steve de Shazer, Begründer der lösungsorientierten Kurzzeittherapie, beschreibt Probleme als Konstrukte, die durch unsere Sprache und Wahrnehmung entstehen und aufrechterhalten werden. Ein Problem bleibt ein Problem, solange wir es als solches denken und beschreiben.

Doch warum fällt es uns oft schwer, diese Perspektive zu verändern? Ein Schlüssel liegt in den psychologischen Grundbedürfnissen nach Klaus Grawe. Sie zeigen, warum wir manchmal lieber an einem bekannten Problem festhalten, anstatt eine unsichere Lösung zu wagen:

  1. Orientierung und Kontrolle: Probleme geben uns Sicherheit. Auch wenn die Situation unangenehm ist, wissen wir, woran wir sind. Lösungen hingegen sind unsicher – sie könnten scheitern oder neue Herausforderungen mit sich bringen.
  2. Selbstwert: Sich mit Problemen zu beschäftigen, vermeidet oft die Konfrontation mit dem Gefühl, selbst nicht gut genug zu sein. Kritik an äußeren Umständen ist leichter, als eigene Verantwortung zu reflektieren.
  3. Lustgewinn und Unlustvermeidung: Probleme sind vertraut und kognitiv weniger anstrengend, als sich aktiv mit der Unsicherheit von Lösungen auseinanderzusetzen.
  4. Bindung: Probleme schaffen eine gemeinsame Basis. Sich gemeinsam gegen „das Problem“ zu verbünden, stärkt oft den Zusammenhalt – auch wenn der Blick auf Lösungen konstruktiver wäre.

Wie wir Probleme loslassen können

Der Weg vom Problem zur Lösung erfordert einen bewussten Perspektivwechsel. Hier kommt die Wunderfrage ins Spiel – eine Methode, die durch eine gedankliche Zeitreise in die Zukunftswirklichkeit Veränderung ermöglicht.

  1. Im Präsens denken: Der Kniff bei der Wunderfrage ist die klare, sprachliche Verlagerung ins Präsens Indikativ. Statt abstrakt über eine mögliche Lösung nachzudenken, wirst du eingeladen, dir die perfekte Zukunft so konkret wie möglich vorzustellen.
  2. Die Frage lautet: „Stell dir vor, über Nacht hat sich das Problem in Luft aufgelöst. Wie merkst du das? Was passiert jetzt anders? Was siehst, hörst und erlebst du?“
    Durch diese gedankliche Zeitreise wird die Lösung unmittelbar greifbar – nicht als ferne Idee, sondern als etwas, das bereits geschieht.
  3. Handlungsspielräume öffnen: Die Antworten auf die Wunderfrage zeigen oft konkrete, machbare Schritte, die zuvor verborgen blieben.

Ein Praxisbeispiel: Vom Problem zur Lösung

Stellen wir uns vor: Ein Team arbeitet daran, die Kommunikation mit anderen Abteilungen zu verbessern. Der bisherige Fokus: „Das Problem ist, dass wir keine klaren Informationen bekommen.“ Schuldzuweisungen machen die Runde, und die Stimmung sinkt.
Im Workshop dann die Wunderfrage – eine Zeitreise:
„Stell dir vor, morgen ist die Kommunikation perfekt. Wie sieht euer Arbeitsalltag dann aus? Was macht ihr? Was macht die andere Abteilung?“
Die Antworten kommen schnell:

  • „Wir haben regelmäßige Meetings, in denen klar wird, wer welche Informationen wann liefert.“
  • „Wir sprechen direkt miteinander, anstatt alles über E-Mails zu regeln.“
  • „Ich weiß genau, an wen ich mich bei Rückfragen wenden kann.“


Durch diesen Perspektivwechsel wird nicht nur klar, was besser laufen könnte, sondern auch, welche Schritte nötig sind. Das Team einigt sich auf konkrete Maßnahmen:

  • Eine wöchentliche Abstimmungsrunde mit den anderen Abteilungen.
  • Eine klare Dokumentation von Verantwortlichkeiten und Deadlines.
  • Feedback-Runden, um Missverständnisse offen anzusprechen.

Innerhalb weniger Wochen zeigt sich: Der Fokus auf die Lösung hat nicht nur die Kommunikation verbessert, sondern auch die Stimmung und Motivation im Team positiv beeinflusst.

Fazit: Lösungen statt Probleme

Probleme sind oft bequemer, weil sie uns Sicherheit und Orientierung geben – auch wenn sie uns blockieren. Der Schlüssel, sie loszulassen, liegt im Perspektivwechsel: Stell dir vor, die Lösung ist schon da. Wie sieht deine Realität aus?
Indem wir uns auf Lösungen, Ressourcen und konkrete Schritte konzentrieren, schaffen wir nicht nur Fortschritt, sondern auch neue Energie in Teams und Organisationen. Veränderung beginnt im Kopf – mit der richtigen Frage.

Was hält dich oder dein Team manchmal davon ab, Lösungen zu finden? Teile deine Gedanken und lass uns ins Gespräch kommen!

Quellen

  • De Shazer, S. (1988). „Clues: Investigating Solutions in Brief Therapy.“ New York: Norton.
  • Grawe, K. (2004). „Neuropsychotherapie.“ Göttingen: Hogrefe Verlag.
    Springer Verlag: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-13003-6
  • Luhmann, N. (1984). „Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie.“ Frankfurt: Suhrkamp.
    Suhrkamp Verlag: https://www.suhrkamp.de
  • Schlippe, A. von, & Schweitzer, J. (2003). „Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung.“ Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.